Apricot Sour von „Tozzi“

 

zutiefst geehrt gebe ich hier gerne und auf mehrfachen Wunsch das Rezept für mein Apricot Sour weiter (Sieger in der gemischten Sauerbier Kategorie, 1. HBCon Romrod 2019).

Das Rezept basiert auf wochenlangen Recherchen und z.T. wilden Annahmen meinerseits, die sich aber letztlich zumindest teilweise bestätigt haben dürften…
Dadurch ist es zwar relativ komplex in der Durchführung, aber doch, wie ich denke, tatsächlich recht gut reproduzierbar.

Es handelt sich ja wie bereits erwähnt um keinen klassisch belgischen oder deutschen Sauerbier Stil, sondern das geht eindeutig eher in die Richtung „American Sour Beers“, also hochgradig experimentell.
Auch wenn das Resultat dann einer Berliner Weiße recht nahe kommt, sich aber eben durch die Fruchtnote und die etwas anderen Lacto Noten wieder davon distanziert, ebenso wie durch den deutlich höheren Alkoholgehalt, der wiederum eher belgisch daherkommt…

Ich poste es hier, denn in ein gängiges Standardformat à la MMuM lässt es sich dann doch schwer „portieren“.

Beginnen wir mit den Eckdaten:

  • Braumeister 50 Plus
  • Hauptguss: 55 Liter
  • Nachguss: 15 Liter
  • Ausschlagvolumen: ~56 Liter
  • Gesamtvolumen mit Obst: ~58-60 Liter
  • ABV: ~6%
  • IBU: ~15
  • EBC: ~8

Starter:

  • Lactobacillus Plantarum: 2-3 Tage vor dem ersten Brautag
    • 2 Liter Wasser
    • 200 g DME (Malzextrakt trocken)
    • 200 ml Apfelsaft
    • 1 TL (4 g) Wyeast Nutrient
    • 40 g CaCO3 als Puffer
    • 8 Kapseln Lactobacillus Plantarum (Swanson) öffnen und einstreuen
    • Starter nicht rühren, sondern nur von Zeit zu Zeit ein klein wenig schwenken!
  • Brettanomyces: 4-5 Tage vor dem ersten Brautag (= 1 Woche vor Pitch)
    • 1,5 Liter Wasser
    • 150 g DME
    • 1/2 TL (2 g) Wyeast Nutrient
    • 1 Päckchen Imperial Suburban Brett
    • Im Kolben 5 Tage lang rühren auf niedriger Stufe

Hintergrund: Man möchte bei der 100% Brett Fermentation in etwa UG Zellzahlen erreichen.
Brettanomyces vermehrt sich nur sehr langsam, die Zellen sind aber auch sehr klein und recht genügsam, so dass 1,5 Liter Starter gut der 5-fachen Menge bei „normaler“ Hefe entsprechen. Zudem wird man keine „eingeschlafene“ Gärung bekommen, auch nicht bei Underpitching.
Eine gesunde Zellzahl hilft aber wohl, die „Pferdedecke“ dezent zu halten und stattdessen die Fruchtigkeit zu betonen.
Zuviel Sauerstoff Eintrag sollte vermieden werden, sonst bildet sich zu viel Essigsäure.

Warum Lactobacillus Plantarum und nicht eine Kultur von White Labs oder Wyeast?
Erstens billiger, zweitens strikt homofermentativ. Starter kostet fast nix und man hat eine hohe Zellzahl.
L. Plantarum ist von WL oder WY nicht erhältlich, kann aber malolaktische Gärung, siehe weiter unten.
Der (weitgehend unlösliche) Kalk ist wichtig als Puffer, um die Säurebildung im Starter abzufangen und so eine höhere Vermehrung zu ermöglichen.
Natürlich wird nur der Überstand (ohne den Kalk) verwendet.

Schüttung:

  • 5 kg Pale Ale Halcyon (Fawcett)
  • 5 kg Weizenmalz Hell (Weyermann)
  • 1 kg Torrified Wheat

Hier gibt es sicherlich Spielraum. Welches PA Malz man nimmt dürfte drittrangig sein. Ich hatte das halt grade da.
Mit dieser Schüttung ergeben sich dann ca. 11,5˚P bei 60% SHA.

Brauwasser:
Beispiel für Münchner Leitungswasser

  • Hauptguss:
    • 0,5 ml/l HCl 37% (bitte runterrechnen und nicht meinem schlechten Beispiel folgen)
    • 0,25 g/l Äpfelsäure (Malic Acid) 100% (kristallin)
  • Nachguss (Sparge): 11,5 g Malic Acid 100% auf 15 Liter
  • CaSO4: 0,08 g/l (HG & Sparge)

Damit kommt man auf einen Maische pH von 5,3 und einen Würze pH von 4,6.
Ionenprofil: Ca: 50-150 ppm, Cl: >= 150 ppm.
Sulfat zwischen 50 und 100 ppm, Mg niedrig halten.

Maischplan:

  • 58˚C – Einmaischen
  • 57˚C – 10 min
  • 64˚C – 40 min
  • 67˚C – 20 min
  • 72˚C – 15 min oder bis jodnormal
  • 75-78˚C – Abmaischen

Kurz aufkochen (30 min).
Kein Hopfen.
Würze möglichst schnell abkühlen auf 35˚C und endgültig einstellen (messen) auf ~pH 4,7 (Malic Acid/Äpfelsäure).
Lactobacillus Starter hinzufügen.
Gut abdecken und bei Temperaturen möglichst um die 35˚C halten.
18-48 Stunden warten, immer wieder messen, bis der pH bei ca. 3,5 liegt.

Kleiner Exkurs: Warum Äpfelsäure (Malic Acid)?
https://de.wikipedia.org/wiki/Malolaktische_Gärung
Das war meine Intention und es scheint geklappt zu haben.
L. plantarum wird ja spezifisch in dem Artikel erwähnt und auch die Bretts dürften das können…

:Cool

Somit ist keine „künstliche“ Milchsäure hinzugefügt worden und doch hat eine Vorsäuerung stattgefunden, die Übeltäter wie Enterokokken etc. abgeschreckt haben dürfte. Bei 36˚C fühlt sich ansonsten nämlich fast alles wohl.

Bei mir war der angestrebte pH Wert von 3,5 bereits nach 18 Stunden erreicht.

Jetzt (VWH) Hopfung:

  • 10 g Galaxy (14,7 % α)
  • 25 g Summer (6% α)

Zusätzlich: 1 kg hellstes Trockenmalzextrakt (DME Ultralight), für besseren Schaum.
60 Minuten kochen. Wyeast Nutrient und Irish Moss 10-15 min vor Flame Out.
Stammwürze liegt jetzt bei etwa 13˚P. Ca. 15 IBU.

Möglichst schnell herunterkühlen auf 65-70˚C.
Blichmann Hop Rocket desinfizieren und mit 75g „Summer“ Dolden (6% α) laden.
Abpumpen durch die Hop Rocket in den Gärtank.
Im Fermenter auf 22˚C abkühlen.

Brett Starter anstellen, dann bei 22˚C halten und langsam erhöhen (alle paar Tage um 0,5˚C) bis 24˚C.
Dort halten.

Nach 2 Wochen (RE jetzt bei ca. 8%w/w):
6 kg Aprikosenpuree hinzugeben (gezuckert, Basis für Sorbet, erhältlich z.B. bei Gourmetversand, TK).
1,5 g Pektinase (Pectin-Ex).

Bei RE 2%w/w (ca. 6-8 Wochen):
Stopfen mit 100g (2g/l) Wai-Iti (2,6% α).

Nebenbemerkung: Bei den Hopfen habe ich versucht, einerseits das Aprikosen Aroma zu unterstreichen, andererseits der Brett ein angemessenes Substrat zur Biotransformation zu bieten. Das hat sie dann auch ganz offensichtlich wahrgenommen.

Nach weiteren 3 Tagen Cold Crash (0-1˚C) für 1 Woche.
Mit Zucker zur NG in Flaschen füllen. Der Sauerstoffeintrag spielt hier eine untergeordnete Rolle, denn die Brett metabolisiert diesen komplett, unter Bildung von Essigsäure, die aber in diesen Mengen nicht wahrnehmbar sein wird.
Am besten Sektflaschen nehmen, die Zielkarbonisierung liegt bei 8g/L, also gut 3,5 Bar bei 18˚C(!).
Dabei gut filtern(!), Hopfendepot führt unweigerlich zu Katastrophen, wie die Teilnehmer meines ersten Fehlaromenseminars in München ja miterleben durften.
Sehr schade um den Inhalt der betroffenen Flaschen.
Sowieso unbedingt vor dem Öffnen mindestens 2-3 Tage aufrecht im Kühlschrank lagern und zur Sicherheit das Freie aufsuchen und nicht das neu renovierte Wohnzimmer riskieren…

Ich freue mich auf eine lebhafte und wahrscheinlich kontroverse Diskussion.
Vieles geht sicherlich auch auf einfachere Weise.
Aber das Ergebnis hat offenbar nicht nur mich überzeugt.

Und vielleicht gibt es Euch ja wenigstens die eine oder andere Anregung.
Für genau solche zum Teil verrückten Ideen bin ich ja selber oft so dankbar.
Da gibt es noch so viel unerforschtes Terrain, und dieses Rezept einfach nachzubrauen, wäre schade.
Viel lieber sähe ich es als Basis für künftige Experimente dienen.

Let’s keep „milking the funk“!

Diskussion dazu im Hobbybrauerforum

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